FREIHEIT oder Determination?

 

Ist unser Leben vorbestimmt und der freie Wille nur eine Illusion?

 

Trifft das Gehirn Entscheidungen, bevor das Problem in unser Bewusstsein dringt?

 

Sind wir durch Instinktprogramme gesteuert und dem "Schicksal" hilflos ausgeliefert?

 

Oder können wir die Verantwortung für unser Handeln übernehmen?

 

Gehirnforschung: Gerhard Roth

 

Wir fühlen uns dann frei, wenn wir das tun können, was wir wollen. Die Willensfreiheit besteht aus dem Gefühl, dass wir und niemand sonst die Verursacher unserer Handlungen sind. Wir sind überzeugt, dass wir auch anders handeln könnten, wenn wir nur wollten. Entsprechend fühlen wir uns für unser Handeln verantwortlich und akzeptieren, dass wir für etwaige Folgen aufkommen müssen. In der Natur dagegen sehen wir nur kausale Ursachen- und Wirkungszusammenhänge, keine Freiheit. Der freie Mensch steht offenbar außerhalb des Naturgeschehens.

 

Die Gehirnforschung gelangt jedoch zu anderen Ergebnissen. Danach lenken uns die Instinktprogramme durch Belohnung und Strafe in Form von Gefühlen und Affekten. Wenn wir unserer Programmierung folgen, bekommen wir "gute" Gefühle wie Glück und Zufriedenheit. Handeln wir jedoch gegen unsere Instinkte, bekommen wir ein "schlechtes Gewissen", Reue oder fühlen uns minderwertig. Wir handeln nur gefühlsmäßig "moralisch", aus einer Art Kosten-Nutzen-Erwägung heraus, z.B. wenn wir von anderen geliebt werden wollen.

 

Das Limbische System, in dem Gefühle und Affekte entstehen, fällt die Entscheidungen weitgehend unbewusst, der Verstand ist lediglich eine Art Berater. Das meiste im Leben muss unser Gehirn ausprobieren, denn die Instinktbasis des Menschen ist schmal und hilft bei komplexem Verhalten nicht weiter. Wir lernen emotional, d.h. in neuen Situationen werden emotionale Erfahrungen von vergangenen ähnlichen Erlebnissen abgerufen und verglichen. Diese auftauchenden Gefühle sind nichts anderes als Botschaften aus der Erinnerung. Emotionale Erfahrungen können nicht in Worten wiedergegeben werden, weil sie zu komplex sind.

 

Gefühle sind klüger als die Ratschläge der Vernunft. Auf das Limbische Gedächtnis zu hören, ist die klügste Vorgehensweise überhaupt. Die Ebene des Verstandes und der Vernunft bildet sich in der Hirnentwicklung erst spät aus und erlangt nie einen entscheidenden Einfluss auf das Verhalten. Trotzdem sind wir nicht die Sklaven unserer Triebe. Das Limbische System will zwar sofortige Belohnung, Flucht oder Zuschlagen, es lernt aber auch durch Versuch und Irrtum. Leider besitzen wir kein robustes Gewissen, "Gut" und "Böse" sind nur soziale Konstruktionen.

 

Philosophie: Immanuel Kant

 

Kant hielt nichts von Gefühlen. Um nicht von der "Sinnenwelt" mit ihrem "Begehren, Lust und Schmerz" beherrscht zu werden, vertraute er auf die Vernunft. "Freiheit" besteht für ihn in der bewussten Entscheidung, sich selbst gesetzten Regeln zu unterwerfen. Da die Existenz Gottes nicht nachgewiesen werden kann, müssen die Menschen selbst ihre Gesetze aufstellen, wenn sie nicht in Chaos und Anarchie versinken wollen. Freiheit ist die Voraussetzung für sittliches Handeln, und Sittlichkeit besteht in der Befolgung der Vernunftgesetze. Im Gegensatz zum sinnlichen "Wollen" werden sie dem Menschen als ein "Sollen" bewusst, als die Pflicht, ihr Handeln in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen.

 

Kants moralisches Ideal ist eine Gemeinschaft vernünftiger Wesen, die sich nicht als Mittel zum Zweck betrachten, sondern die Würde des Selbstzweckes besitzen. Der sittliche Mensch ist Glied einer idealen Willensgemeinschaft, die ihr Handeln nach den Gesetzen der praktischen Vernunft selbst bestimmt. Er ist das Subjekt allgemeingültiger Setzungen (Normen), in denen sich Privatzwecke in eine allgemeine Zweckhaftigkeit einfügen. In diesem Sinn formuliert Kant den kategorischen Imperativ: Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten kann.

 

In der Zeit vor Kant basierte die Ethik auf dem "Naturrecht", d.h. das Natürlich-Richtige wurde dem Handeln durch eine übermenschliche Wirklichkeit (Gott) geboten. Ob Vorsokratiker, Platon, Aristoteles, Hobbes, Locke oder Rousseau, sie alle suchten die Normen richtigen Handelns in objektiven Vorgaben wie den "ewigen Ideen", dem "Weltgesetz", oder der "Menschheit". Diesen objektivistischen Positionen stellt Kant die "reine Vernunft" als Prinzip moralischer Praxis entgegen. Indem er von der Orientierung an Natur und Gefühl abrückt und die Vernunft für autonom erklärt, vollzieht er eine Umkehrung der bisherigen Denkweise, ähnlich der "Kopernikanischen Wende", durch die er schon die theoretische Philosophie revolutioniert hatte, als er in seiner "Kritik der reinen Vernunft" die Prinzipien der Erkenntnis in das Subjekt verlegte.

 

Der Mensch ist Bürger zweier Welten: einerseits der phänomenalen Sinnenwelt durch den kausalen Mechanismus der Naturerscheinungen, andererseits der übersinnlichen, überzeitlichen Welt reiner Geistigkeit mit nichtempirischen Gesetzen. Die Sinnenwelt unterliegt dem Begehren, hervorgerufen durch materiale Vorstellungen und innere Empfindungen wie Lust und Schmerz. Die Geisteswelt überhöht diese Mechanismen durch sittliche Einsicht, das Bewusstsein sittlichen Sollens. Die Sittengesetze der praktischen Vernunft sollen den materialen Willen leiten.

 

Kant entwickelt drei Fragen der Vernunft: 1. Was kann ich wissen? Die Antwort findet sich in der "Kritik der reinen Vernunft" und besagt, dass wir über Gott und die Unsterblichkeit der Seele nichts wissen können. 2. Was soll ich tun? Die Antwort erfolgt in der "Kritik der praktischen Vernunft". Sie ist jedoch nur praxisorientiert und führt ebenfalls zu keiner Erkenntnis. 3. Was darf ich hoffen? Genauer: Wenn ich tue, was ich soll und alle Sittengesetze befolge, kann ich dann ewige Glückseligkeit erwarten? Kant sagt: Wir können zwar nichts wissen, dürfen aber hoffen.

 

Sittlichkeit bedeutet, so zu handeln, dass man der Glückseligkeit in einer möglichen jenseitigen Welt würdig werde. Daraus folgt: Wer sich sittlich verhält, darf auf Glückseligkeit hoffen. Allerdings ist die Verknüpfung von Sittlichkeit und Glückseligkeit nur eine praktische Idee und nicht real. Die angestrebte moralische Welt ist nicht identisch mit der Welt, in der wir leben. Ihre Bedingung ist, dass es eine höchste Vernunft gibt, die vollkommen sittlich und glückselig ist und als Ursache dieser Welt zugrunde liegt, und dass unsere Seele unsterblich ist, um daran teilzuhaben.

 

Mit diesen Erörterungen hat Kant eine Moralphilosophie begründet, die allerdings nicht auf objektivem Wissen basiert, sondern auf einem praxisorientierten Glauben an die Vernunft.

 

Philosophie: Theodor Adorno

 

Für Adorno bedeutet "Freiheit" vor allem "Verantwortung". Doch reicht die Einsicht in das Sittengesetz nicht aus für humanes Handeln, so lange die vorherrschenden Machtstrukturen nicht erkannt werden. Aus dem "Gebrauch der Vernunft" nach dem kategorischen Imperativ konnte auch die Unterordnung des Menschen unter herrschende Autoritäten legitimiert werden. Blinde Pflichterfüllung kann jedoch zum Gegenteil des angestrebten Zustandes führen (siehe Auschwitz).

 

Um Adornos Ideal des "mündigen Bürgers" als Produzent der Weltgeschichte zu verwirklichen, müssen die vorhandenen Machtstrukturen transparent gemacht werden. Das emanzipierte Subjekt trägt die Verantwortung für sein Handeln selbst und darf sich nicht auf Gesetze oder Befehle berufen. Fremdbestimmung kann nur vermieden werden, wenn jeder Mensch an seinem Platz seine Handlungsweisen stets kritisch hinterfragt.

 

Eine freie Gesellschaft ist gekennzeichnet durch die gleiche Verteilung von Entfaltungsmöglichkeiten. In der idealen Sprechsituation einer herrschaftsfreien Kommunikation besitzt jeder die gleichen Artikulationsmöglichkeiten, der angestrebte Konsens gilt als konstitutiv und als Legitimationsbasis für das gesellschaftliche Handeln (Habermas).

 

Psychologie: C.G. Jung

 

Die Idee der Freiheit ist ein geistiges Urbild (Archetypus), das wir von unseren Vorfahren geerbt haben. Archetypen sind Manifestationen menschlicher Erfahrungen, die endlose Wiederholung in unsere psychische Konstitution eingeprägt hat, und zwar in Form von Bildern und Symbolen. Als kondensiertes Wissen sind sie im kollektiven Unbewussten angesiedelt und in allen Menschen gleich. Archetypen sind spontane, vom Willen unabhängige Erzeugnisse der Seele, die unbewussten Abbilder der Instinkte. Vergleichbar mit den platonischen Ideen stehen sie vor jeder individuellen Erfahrung und überdauern alle Zeiten.

 

Archetypische Ideen sind sehr aktiv, ohne jedoch bewusst zu sein. Als innere Tatsachen sind sie den objektiven äußeren Tatsachen übergeordnet und geben ihre Bedeutung, z.B. das Gefühl von Freiheit, an das Subjekt ab. Die archetypische Freiheitsidee besitzt eine besondere Macht, sie beschützt vor äußerer Abhängigkeit und gibt dem Subjekt das Gefühl von Freiheit, Macht und Ewigkeit. Sie ist aber auch die Ursache für eine ausgesprochene Machtpsychologie.

 

Dagegen steht die kausal denkende empirische Wissenschaft, die einen notwendigen Zusammenhang von äußerer Ursache und Wirkung annimmt. Diese Einstellung hindert uns daran, an die innere Freiheit zu glauben, denn dazu fehlt uns jede Beweismöglichkeit. Wir haben nur ein undeutliches Gefühl der Freiheit gegenüber der erdrückenden Masse objektiver Beweise für das Gegenteil.

 

Das Individuum besteht jedoch nicht nur aus dem rationalen "Ich", sondern ist in einen viel größeren psychischen Zusammenhang eingebettet. Die Gesamtheit der Psyche umfasst neben dem bewussten Ego auch unbewusste Aspekte wie persönlich Vergessenes, instinktive Emotionen oder kollektive archetypische Verhaltensmuster. Diese Gesamtheit der Persönlichkeit nennt Jung "das Selbst". Es ist der Träger von Entscheidungen, an denen das persönliche und das kollektive Unbewusste großen Anteil haben.

 

Das Unbewusste nimmt den weitaus größten Teil der menschlichen Psyche ein. Ganz unten befindet sich das biologische Unbewusste, das auf biochemischen Prozessen beruht und nur selten vom Bewusstsein registriert wird. Darüber liegt das kollektive Unbewusste, dessen archetypische Bilder bedeutungsvoll in Träumen ins Bewusstsein gelangen können. Das persönliche Unbewusste ist die Schicht darüber, sie enthält persönlich Vergessenes und Verdrängtes. Das Bewusstsein tritt in der nächsthöheren Schicht auf, und nur die Spitze des Eisbergs enthält das reflektierende "Ich denke".

 

Wenn wir unser Selbst nicht auf das Ego reduzieren, sondern unsere gesamte Persönlichkeit zugrunde legen, können wir als Ergebnis der Tiefenpsychologie voraussetzen, dass wir in unseren Entscheidungen frei und nicht determiniert sind.

 

Quantentheorie: Amit Goswami

 

Aus Sicht der Quantentheorie ist es der bewusste "Gehirn-Geist", der verantwortlich ist für alle Handlungsausgänge. Dieser Gehirn-Geist entspricht dem "Selbst" von C.G. Jung, also der Gesamtheit des Bewusstseins einschl. des persönlichen und kollektiven Unbewussten. Auch wenn das Gehirn Entscheidungen trifft, die unser Bewusstsein erst später erreichen, sind diese Entscheidungen doch Produkte der Gesamtpersönlichkeit. Sie entstanden durch Kombinationen der Einzelinstanzen wie Emotionen, persönlichen Voraussetzungen und kollektiven Mustern. Die physiologische Vordatierung einer Entscheidung ist daher nur als Bereitschaftspotenzial anzusehen, die spontane unbewusste Aktion ist eine Vorentscheidung der Gesamtpersönlichkeit.

 

Unter der Voraussetzung, dass unser Gehirn der Erzeuger von subjektivem Bewusstsein ist, muss das Denken Quanteneffekten unterliegen. Da die Neuronen des Gehirns aus Elektronen und Quanten bestehen, können die Eigenschaften der Quantentheorie auch auf psychische Phänomene angewandt werden. Goswami vergleicht bestimmte Quantenaspekte mit geistigen Qualitäten, um die Funktionsweise des Gehirn-Geistes quantentheoretisch zu erklären.

 

Quantenobjekte (z.B. Elektronen) besitzen einen Feldcharakter und können gleichzeitig an verschiedenen Stellen auftreten. Sie manifestieren sich erst dann in der normalen Raumzeit, wenn wir sie als Teilchen beobachten (das Feld materialisiert sich punktuell). Sie bewegen sich in Quantensprüngen, d.h. sie durchqueren den Raum nicht auf normalem Weg in der Zeit, sondern sind gleichzeitig auch an anderen Orten anzutreffen. Eine durch unsere Beobachtung zustande gekommene Manifestation eines Teilchens lässt sein Zwillingsteilchen, das inzwischen Lichtjahre entfernt sein kann, zur gleichen Zeit materialisieren.

 

Ein Quantenobjekt ist Welle und Teilchen zugleich. Man kann es aber nie in seiner Wellenform sehen, es zeigt sich immer nur als stationäres Teilchen an einem bestimmten Punkt. Durch eine Beobachtung (Messung) bricht die Welle zusammen, und Materie entsteht. Trotzdem bleibt sein Wellencharakter bestehen, denn das Feld breitet sich zwischen den Beobachtungen aus. Quantentheoretiker folgern daraus, dass es einen transzendenten Wirklichkeitsbereich außerhalb unserer Raumzeit gibt. Auch die Gleichzeitigkeit, mit der sich korrelierte Quantenobjekte verändern, deutet auf einen transzendenten Bereich der Realität hin.

 

David Bohm wies schon darauf hin, dass alles, was in der Raumzeit passiert, von verborgenen Variablen bestimmt wird, die jenseits der lokalen (raum-zeitlichen) Realität liegen. Für Goswami ist dieser transzendente Bereich von Bewusstsein erfüllt. Die verborgenen Variablen sind identisch mit C.G. Jungs kollektivem Bewusstsein, und dies ist das Subjekt aller kreativen Entscheidungen. Bei der gleichzeitigen Wirkung voneinander entfernter Objekte handelt es sich dann nicht um eine Übertragung von Signalen, die ja Zeit benötigen würde, sondern um eine Kommunikation innerhalb des Bewusstseins.

 

Damit finden auch die von C.G. Jung beschriebenen Synchronizitäten (Gleichzeitigkeiten im Denken und im äußeren Weltgeschehen) ihre Erklärung in einer gemeinsamen Ursache im transzendenten Bereich. Goswami unterscheidet zwischen transzendentem (kollektivem) Geist und subjektivem Bewusstsein. Im subjektiven Bewusstsein kommen sowohl materielle Objekte vor (ein Ball) als auch geistige Objekte (der Gedanke an einen Ball). Beide Objekte benötigen immer ein Subjekt, das die Erfahrung macht. Durch den Gehirn-Geist ist das subjektive Bewusstsein mit dem transzendenten Geist verbunden, der allem Sein zugrunde liegt.

 

Das Gehirn ist einerseits ein Quantensystem und andererseits ein physikalischer Messapparat zur Vergrößerung von Quantenobjekten. Bei einer Messung (Erkenntnis) werden die Zustände des transzendentalen Quantenbewusstseins mit den Zuständen des Messapparates (Gehirn) korreliert (in Übereinstimmung gebracht). Durch die Erkenntnis (Beobachtung) bricht die Wellenfunktion zusammen, und die mentale Erfahrung materialisiert sich im klassischen Gehirn. Dort wird sie gemessen, vergrößert und in der Erinnerung abgespeichert. Es entsteht persönliche Identität.

 

Der Gehirn-Geist ist also ein interaktives System, zusammengesetzt aus Quantenteilen und klassischen Aspekten. Durch ihn wirkt das kollektive Bewusstsein in der Welt, bzw. wir sind es. In seiner Doppelfunktion als Quantensystem und klassischer Messapparat ermöglicht das Gehirn neben der Ich-Identität auch Kreativität, d.h. Realisierung von etwas völlig Neuem. Die Quantenzustände des Gehirn-Geistes sind Möglichkeitsstrukturen und identisch mit den Zuständen des kollektiven Bewusstseins. Aus diesem transzendenten Bereich erscheinen Objekte in der Welt der Manifestation, wenn das nichtlokale Bewusstsein als Subjekt ihre Wellenfunktion zusammenbrechen lässt.

 

Vor der Einschaltung des Bewusstseins existiert der Gehirn-Geist als formlose Potentia (Möglichkeitsform) im transzendenten Wirklichkeitsbereich. Der Kollaps (Zusammenbruch) seiner Wahrscheinlichkeitswolke wird nicht zufällig durch Naturgesetze herbeigeführt, sondern ist eine bewusste Entscheidung des transzendenten Geistes, eine absichtliche Wahl. Das Bewusstsein wählt aus, mit welchem Ergebnis der Kollaps unseres Gehirn-Geistes endet, d.h. wir suchen uns unsere Erfahrungen selbst aus. Allerdings sind wir uns dabei der zugrunde liegenden Prozesse nicht bewusst, weil wir nur über die bereits materialisierten Erinnerungen verfügen.

 

Diese Unbewusstheit führt zu dem Gefühl der Trennung. Wir identifizieren uns mit dem getrennten Ich statt dem Wir des allumfassenden Bewusstseins. In der Welt der Manifestation erfahren wir das Selbst als von den Objekten getrennt. Durch unseren Gehirn-Geist ist sich das Universum seiner selbst bewusst und teilt sich in Subjekt und Objekt. Freiheit und Kreativität besitzt der Gehirn-Geist nur unter dem Einfluss seines Quanten-Teilsystems, in dem die Vielseitigkeit des kollektiven Quantengeistes immer präsent ist.

 

Das Ich-Selbst ist nur eine Beziehung zwischen bewusster Erfahrung, basierend auf den gespeicherten Messergebnissen des Gehirns, und der physikalischen Umgebung. Das Bewusstsein identifiziert sich mit den erlernten Reaktionen, aber es kommt nie zu einer vollständigen Identität. Es bleibt immer etwas Platz für das Nicht-Konditionierte, Neue, und das ermöglicht unseren freien Willen. Spitzenerfahrungen werden fast nur außerhalb der Ich-Identität gemacht und deuten damit ebenfalls auf ein transpersonales Selbst hin. Auf der sekundären Gehirn-Ebene gibt es nur konditionierte Reaktionen in Form von Gedanken und Gefühlen, im Bereich der Primärprozesse aber uneingeschränkte Wahlfreiheit.

 

Gehirnforscher zeigten in Experimenten, wie das Gehirn Aktionen auslöst, bevor diese in unser Bewusstsein dringen, und nahmen das als Beweis für unsere Determiniertheit, denn die Bewusstwerdung wurde vom Subjekt anschließend vordatiert und als freier Wille gedeutet. Danach wäre der freie Wille eine Illusion. Aber in den gleichen Experimenten wurden auch Aktionen wieder rückgängig gemacht, nachdem sie im Bewusstsein aufgetaucht waren. Fazit: Wir haben stets die Möglichkeit, zu der Konditionierung nein zu sagen. Der freie Wille wirkt ganzheitlich, als moralische Haltung, während Einzelaktionen determiniert sein können.

 

Bei unbewussten Erfahrungen, die nicht ins Bewusstsein dringen und in der Erinnerung abgespeichert werden können, bricht der Quanten-Zustand nicht zusammen. Sie entwickeln sich im Möglichkeitsbereich weiter und können dann als komplexe Lösungsstrategien auftauchen. Viele unserer transpersonalen Erfahrungen werden von archetypischen Inhalten des kollektiven Unbewussten beeinflusst, die wir nicht wahrnehmen. Das Selbst ist Ausdruck für das gesamte Potenzial des Menschen. Durch dieses Selbst sind wir zu Freiheit und Kreativität in der Lage. Den freien Willen auszuüben heißt, zu einer konditionierten, erlernten Reaktion nein zu sagen.

 

Gehirnforschung: Manfred Spitzer

 

Die Naturwissenschaften betrachten die Welt unter der Voraussetzung, dass sie nach streng kausalen und mechanistischen, Prinzipien funktioniert. Selbstbestimmung hat keinen Platz in einer vollkommen deterministisch verstandenen Natur. Entscheidungsfreiheit ist nicht mehr als ein Gefühl. Objektiv betrachtet unterliegen wir der Naturkausalität, wodurch Freiheit ausgeschlossen ist. Nach dieser Denkweise ist niemand verantwortlich für das eigene Handeln und braucht seine Entscheidungen auch gar nicht zu begründen, da es keine Maßstäbe für Gut und Böse gibt.

 

Kann man einen Menschen für seine Aggressionen verantwortlich machen? Wir würden niemals einen Kochtopf dafür verurteilen, dass er überkocht. Doch Menschen sind keine Kochtöpfe. Zwar können auch wir gelegentlich Dampf ablassen, wenn man uns ordentlich einheizt. Der entscheidende Unterschied besteht aber darin, dass wir es auch sein lassen können. Wir bestimmen darüber, was wir tun und lassen, und deshalb sind wir auch dafür verantwortlich.

 

Nur dann, wenn wir annehmen, dass der Mensch einen freien Willen hat, können wir sein Handeln nach den Maßstäben von Gut und Böse bewerten. Freiheit ist also die Voraussetzung für sittliches Handeln und die Grundlage für Gesetze und Regeln des menschlichen Zusammenlebens.

 

Astrophysik: Stephen Hawking

 

Im Makrokosmos ist das Schicksal der Welt vorherbestimmt, festgelegt durch die Naturgesetze. Ob das Universum ständig weiter expandiert oder eines Tages wieder implodiert, steht bereits fest. Wir wissen es nur noch nicht, stehen aber kurz vor der Lösung dieses Problems. Im Mikrokosmos dagegen sind die Abläufe zufällig und unscharf (offen), wie die Quantentheorie zeigt.

 

Im Mesokosmos, unserem Wirklichkeitsausschnitt, gilt beides. Sowohl in der Evolution (ob wir 2 oder 8 Beine haben, ist zufällig, aber dass sich das Leben zunehmend komplexer entwickelt, steht fest) als auch in der individuellen Entwicklung (wir sind zwar genetisch geprägt, aber frei im Handeln).

 

Literatur: Friedrich Schiller

 

Das Verhältnis des Menschen zur Welt ist nicht mehr unmittelbar, sondern nur noch sentimentalisch, d.h. im Medium der Reflexion zu haben. Der sentimentalische Mensch handelt und denkt nicht spontan, er beobachtet sich dabei vielmehr selbst (Selbstreflexion). Dadurch entfremdet er sich von sich selbst und verliert das ursprüngliche Selbstverhältnis wie den selbstverständlichen Ort in der Welt.

 

Der Mensch lebt nicht mit der „wirklichen“ Wirklichkeit, sondern mit einer fiktionalen, vorgestellten Wirklichkeit. Daraus folgt, dass er vor der Realität nicht aufgeben und kapitulieren muss, da er sie ja selbst konstruiert und damit veränderbar gemacht hat. Mit seinem Willen kann er sich dem Vorhandenen entgegen setzen und sich davon befreien. Dies ist die höchste Freiheit des Menschen, die Freiheit von seiner eigenen Natur.

 

Die Behauptung einiger „Mächte“, sie seien legitimiert durch die Natur, das heißt von Natur aus eingesetzt und unveränderlich an ihrem Platz, lässt sich damit widerlegen. Natur lässt sich nicht gegen Willensfreiheit und Selbstbestimmung setzen. Sie diente nur als Legitimation der Herrschenden und zielt darauf ab, den Menschen zur Unterwerfung unter die Verhältnisse zu zwingen. Nicht die Natur, sondern die Vernunft bestimmt das Schicksal des Menschen.

 

Zitate

 

Aristoteles

"Eine freie Entscheidung wäre das Streben auf Grund einer Überlegung nach dem, was in unserer Macht liegt. Infolge einer Überlegung nämlich treffen wir ein Urteil, und unser Streben richtet sich dann nach dieser Überlegung. Unfreiwillig scheint jedoch das zu sein, was auf Grund von Gewalt oder Unwissenheit geschieht."

 

Simone de Beauvoir

„Die Angst vor seiner Freiheit führt das Individuum dazu, sich selbst in den Objekten zu suchen, was eine Art ist, vor sich selbst zu entfliehen.“

 

Annie Besant

„Der Verstand wird nicht dadurch zum Wachsen gebracht, dass man ihn mit den Gedanken anderer Leute anfüllt, sondern nur dadurch, dass man seine eigenen Fähigkeiten ausbildet."

 

Agnes Heller

„Die Geschichte der Menschheit ist die Geburt und Entfaltung der Freiheit.“

 

David Hume

"Unter Freiheit können wir somit nur das verstehen: ein Vermögen, entsprechend den Bestimmungen des Willens zu handeln oder nicht zu handeln. D.h. wenn wir ruhig bleiben wollen, dann können wir es, wenn wir uns bewegen wollen, dann können wir es auch."

 

Benjamin Libet

"Der Anfang der freiwilligen Handlung scheint im Gehirn unbewusst zu beginnen, bevor die Person bewusst weiß, dass sie zu handeln wünscht."

 

Christoph Lichtenberg

„Ein Meisterstück der Schöpfung ist der Mensch auch schon deswegen, dass er bei allem Determinismus glaubt, er agiere als freies Wesen.“

 

Arthur Schopenhauer

"Ein Mensch kann zwar tun, was er will, aber nicht wollen, was er will."

 

Benedict de Spinoza

"Damit ich die Gegenstände der Wissenschaft von den menschlichen Affekten mit derselben Freiheit des Geistes, die wir bei den mathematischen gewohnt sind, betrachte, habe ich mich fleißig bemüht, die menschlichen Handlungen nicht zu belächeln, zu beklagen oder zu verachten, sondern zu verstehen. Ich habe deshalb die menschlichen Leidenschaften wie Liebe, Hass, Zorn, Neid, Stolz, Erbarmen und die anderen Gefühle, welche den menschlichen Geist bewegen, nicht als Laster der menschlichen Natur, sondern als ihr eigentümliche Eigenschaften in derselben Art und Weise betrachtet wie Hitze, Kälte, Sturm, Donner und anderes, was zur Natur gehört."

 

Germaine de Stael

„Der von Einbildungskraft entblößte Verstand möchte selbst die Natur abschätzig behandeln, wenn sie nur nicht stärker wäre als er.“

 

Helene Stöcker

„Beginnt nicht erst mit dem Bewusstsein der Freiheit unser eigentliches Dasein?“

 

Simone Weil

„Der Geist lässt sich niemals wirklich zwingen, er verfügt immer noch über die Ausflucht in die Lüge.“

 

Ludwig Wittgenstein

"Die Willensfreiheit besteht darin, dass zukünftige Handlungen jetzt nicht gewusst werden."

 

Gedicht: Bernd Hassenstein

 

Ein Wirkungsquant fliegt durch das Dorf,

es sucht das Hirn des Herrn von Korf.

Es findet dort in dem Gewühl

ein ganz bestimmtes Molekül.

 

Von Korf ist grad in schwerer Not:

„Ess Wurst ich - oder Käsebrot?“

Das Quant, das wirft sich in die Brust:

„Du glaubst, du willst! Allein: Du musst!

Nie kannst die Freiheit du erringen.

Doch ich bin frei und kann dich zwingen!“

 

Elektron “9“ sprach: „Spring´ mich doch!“

Das Quant: „Ich überleg´s mir noch.“

Dann hat durch es Elektron „8“

´nen akausalen Sprung gemacht.

 

Von Korf nahm daraufhin spontan

die Wurst und fing zu essen an.

Und nahm die Sache ganz im Stillen

dann als Beweis für freien Willen.

 

Dem Quant hat das den Rest gegeben:

Freiwillig schied es aus dem Leben.

 

 

Birgit Sonnek

 

September 2005

 

 

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